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Fichenaffäre eskaliert

23. Juli 2008

Im Rahmen der Anti-WEF-Kundgebungen in Bern vom 19. Januar 2008 veranlasste ein Staatsschutzbeamter (Ex Stadtpolizei Bern, seit 1. 1. 2008 Police Bern) die Verhaftung von zwei Journalisten (WOZ und Le Courrier). Im Anschluss daran beschlossen verschiedene Organisationen und Einzelpersonen, gemeinsam ein Einsichtsgesuch in die Staatsschutzdaten (Daten des Dienstes für Analyse und Prävention DAP) einzureichen. Da die beiden Medienschaffenden vor dem Büro bzw. Arbeitsort dieser Organisationen und Personen verhaftet wurden, lag die Vermutung nahe, dass einzelne an dieser Adresse Gemeldeten vom Staatsschutz observiert werden, zumal der Journalist der WOZ schon zu einem früheren Zeitpunkt in der Nähe des Büros vom betreffenden Staatsschutzbeamten angesprochen worden war.

Der Präsident von grundrechte.ch, Viktor Györffy, Rechtsanwalt in Zürich, ist mit dem Einsichtsbegehren beauftragt worden, welches am 31. März 2008 beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten eingereicht worden ist. Dieser hat mit seiner Antwort vom 15. Juli 2008 praktisch erstmalig gestützt auf Art. 18 Abs 3 des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) den Betroffenen Auskunft über ihre tatsächliche Fichierung gewährt.

Die damit publik gewordene Fichierung wie auch die Überwachung der Basler GrossrätInnen türkischer Herkunft belegen, dass sich der DAP nicht an die in Art. 3 BWIS festgeschriebenen Schranken hält. grundrechte.ch deponiert daher zahlreiche Forderungen an den Bundesrates, bzw. an das Parlament und seine zuständigen Kommissionen: Umgehende Gewährung der Akteneinsicht, Kontrolle aller vorhandenen 110’00 Fichen durch eine verstärkte Kontrollkommission, keine Verschärfung des Staatsschutzgesetzes.

Der untenstehende Forderungskatalog wurde am 23. Juli 2008 um 10:30 Uhr an einer Medienkonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Bereits kurz nach Mittag waren entsprechende Meldungen auf den Webseiten aller wichtigen Zeitungen zu finden.

Am 24. Juli 2008 wurde landesweit über die neuen Enthüllungen berichtet, selbstsverständlich von der WOZ, aber auch vom Bund, vom St. Galler Tagblatt, von News.ch und vielen anderen. Die SP veröffentliche einen Mustervorstoss (dringliche Interpellation) für Kantonalsektionen.

Am 28. Juli 2008 hat grundrechte.ch die an der Medienmitteilung vom 23. Juli 2008 gestellten Forderungen schriftlich direkt an den Bundesrat gerichtet. Im September 2008 teilte Eveline Widmer-Schlunpf mit, dass der DAP keine Akten von Schweizer Bürgern mehr vernichten darf.

Wie wenn die neu bekannt gewordenen Fichierungen noch nicht schlimm genug wären, liess Urs von Daeniken am 5. August in einem Interview mit .ch verlauten, dass der DAP erst überwachen dürfe, wenn jemand kriminell geworden sei.

Bis Mitte August 2008 hatten rund 70 Personen ein Einsichtsgesuch in die Staatsschutzakten gestellt (Sonntag vom 17. August 2008).

Im Sog der Basler Fichenaffäre haben einige SP-Grossräte ebenfalls ein Einsichtsgesuch gestellt. In Analogie zum Fall Glättli in Zürich wurde SP-Grossrätin Tanja Soland fichiert, weil sie ein Bewilligungsgesuch für eine Demo unterschrieben hatte, wie am 9. September bekannt wurde. Aus den Ausführungen von Polizeidirektor Gass am 10. September 2008 im Grossen Rat kann geschlossen werden, dass alle Personen, welche um eine Demo-Bewilligung ersuchen, an den DAP gemeldet werden. Diese Vermutung wurde am 7. November mit der Interpellationsantwort des Regierungsrats bestätigt.

Am 14. September 2008 haben die vom DAP fichierten Parteien, welche nach der WEF-Demo in Bern vom Datenschutzbeauftragten über ihre Fichierung informiert wurden, beim Bundesverwaltungsgericht vollständige Akteneinsicht verlangt.

   

   
   

zuletzt aktualisiert: 4. November 2011