BGE_6B_770_2015

14. März 2016

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

{T 0/2}

6B_770/2015

Urteil vom 14. März 2016

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte

X.,

Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Verletzung von Verkehrsregeln, Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 26. Juni 2015.

Erwägungen:

1.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen gegen den angefochtenen Entscheid vom 26. Juni 2015, mit welchem ihre Beschwerde, soweit Eintreten, abgewiesen wurde. Wie im vorinstanzlichen Verfahren macht die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht im Wesentlichen geltend, die Ordnungsbusse von Fr. 40.-- wegen einfacher Verkehrsregelverletzung fristgerecht am 1. Oktober 2014 (recte 1. September 2014) bezahlt zu haben. Aufgrund der Bezahlung der Busse hätte das ordentliche Strafverfahren nicht durchgeführt und der Strafbefehl vom 3. Oktober 2014 nicht erlassen werden dürfen. Entsprechend habe sie mit ihrem Fax-Schreiben vom 21. Oktober 2014 auch nicht Einsprache erhoben, sondern die Behörden auf den Irrtum hinweisen wollen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht die Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid unter anderem erwogen, die Beschwerdeführerin sei verzeigt worden, weil sie "offenbar" die Zahlungsfrist des Ordnungsbussenverfahrens nicht eingehalten habe. Die Bezahlung der Busse am 1. Oktober 2014 bzw. 1. September 2014 vermöge an der Gültigkeit des Strafbefehls vom 3. Oktober 2014 nichts zu ändern. Zahle der Täter oder die Täterin die Busse nicht oder nicht vollständig innert Frist, werde ein ordentliches Verfahren eingeleitet, welches in der Regel mit einem Strafbefehl abgeschlossen werde. Dies gelte auch, wenn das ordentliche Verfahren nach der Bezahlung der Busse eröffnet werde, soweit diese nicht innert der (dreissigtägigen) Frist des Ordnungsbussenverfahrens bezahlt worden sei.

Die Vorinstanz verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Beschwerdeabweisung.

2.

Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes können nach dem Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 1970 (OBG; SR 741.03) in einem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen bis Fr. 300.-- geahndet werden (Art. 1 Abs. 1 und 2 OBG). Wird der Fahrzeugführer anlässlich einer Widerhandlung identifiziert, so kann er die Busse sofort oder innert 30 Tagen bezahlen (Art. 5 Abs. 1 OBG). Bezahlt er sofort, so wird eine Quittung ausgestellt, die seinen Namen nicht nennt (Art. 5 Abs. 2 OBG). Bezahlt er die Busse nicht fristgerecht, so wird das ordentliche Strafverfahren eingeleitet (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 OBG). Ist nicht bekannt, wer eine Widerhandlung begangen hat, so wird die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt (Art. 6 Abs. 1 OBG). Dem Halter wird die Busse schriftlich eröffnet. Er kann sie innert 30 Tagen bezahlen (Art. 6 Abs. 2 OBG). Bezahlt er die Busse nicht fristgerecht, so wird das ordentliche Strafverfahren eingeleitet (Art. 6 Abs. 3 OBG).

3.

3.1. Der auf die Beschwerdeführerin zugelassene Personenwagen überschritt am 22. April 2014, um 07:59 Uhr, auf der J 15 bei Schaffhausen die ausserorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um einen Kilometer pro Stunde netto (vgl. angefochtenen Entscheid, S. 5). Als Halterin des Fahrzeugs wurde die Beschwerdeführerin mit einer Ordnungsbusse von Fr. 40.-- belegt.

3.2. Diese Busse hätte der in Italien lebenden Beschwerdeführerin durch eingeschriebene Postsendung mit Rückschein zugestellt werden müssen (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz OBG i.V.m. Art. 85 StPO und Art. 87 Abs. 2 StPO; s.a. Rechtshilfeführer, Strafrecht, Italien, Zustellungen). Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass dies geschehen ist. Die Zustellung der Ordnungsbusse ist darin nicht dokumentiert. Wann und auf welche Weise der Beschwerdeführerin die Ordnungsbusse zuging, ist mithin behördlicherseits nicht erstellt.

3.3. Die Vorinstanz hätte unter diesen Umständen nicht einfach spekulativ zu Lasten der Beschwerdeführerin davon ausgehen dürfen, diese habe "offenbar" die Zahlungsfrist des Ordnungsbussenverfahrens nicht eingehalten (vgl. angefochtenen Entscheid, S. 5). Mangels anderer Anknüpfungspunkte hätte die Vorinstanz zur Ermittlung der Zahlungsfrist vielmehr auf die aktenkundigen Angaben der Beschwerdeführerin betreffend Empfang der Busse abstellen müssen. Jene hat im Verfahren konstant angegeben, die Ordnungsbusse am 6. August 2014 erhalten zu haben. In Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 OBG i.V.m. Art. 90 StPO ist demnach davon auszugehen, dass die 30-tägige Frist zur Bezahlung der Busse am 7. August 2014 zu laufen begann und am 5. September 2014 endete.

3.4. Die Beschwerdeführerin gab die Bezahlung der Busse von Fr. 40.-- zu Gunsten der Schaffhauser Polizei am 1. September 2014 elektronisch in Auftrag. Ihr Konto wurde am gleichen Tag belastet. Das ergibt sich aus einem Beleg der Postfinance, welchen die Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren zu den Akten reichte (vgl. kantonale Akten, Postbeleg, E-Finance, Anhang zu 2015/202-42-dw). Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung darf mangels gegenteiliger Anhaltspunkte weiter davon ausgegangen werden, dass der Betrag von Fr. 40.-- (dem Konto) der Schaffhauser Polizei spätestens am 5. September 2014 gutgeschrieben wurde. Daraus folgt, dass die Beschwerdeführerin die Busse innerhalb der 30-tägigen Zahlungsfrist bezahlte. Es hätte folglich kein Strafverfahren eingeleitet werden dürfen. Der Strafbefehl vom 3. Oktober 2014 wurde zu Unrecht erlassen. Er ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz ungültig.

4.

Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 BGG). Die Beschwerdeführerin ist vor dem Bundesgericht nicht anwaltlich vertreten. Besondere persönliche Aufwendungen macht sie nicht geltend. Es ist ihr deshalb keine Entschädigung zuzusprechen (BGE 133 III 439 E. 4 mit Hinweis). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 26. Juni 2015 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Kosten erhoben.

3.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. März 2016

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

 

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