Der Strom-Spion im Keller

22. August 2013

Die Industriellen Werke Basel ersetzen Tausende von Stromzählern durch intelligente Messgeräte. Dank diesen wissen sie, wann ein Stromkunde ausser Haus ist.

Matieu Klee, TagesWoche

Er sei zufällig in der Gegend und habe auch gleich einen neuen Stromzähler dabei. Ob er diesen rasch einbauen könne? Dies erklärte ein Installateur dem KMU-Berater Philip Karger an dessen Haustür. Tatsächlich hatten die Industriellen Werke Basel (IWB) dem Stromkunden Karger ein paar Tage zuvor einen Brief geschrieben: Sein alter Stromzähler, Typ MT 300, werde kostenlos ausgewechselt. Denn bei einzelnen Geräten seien falsche Messungen auf Kosten der Kunden nicht auszuschliessen.

Philip Karger hatte nichts dagegen, den fehlerhaften Stromzähler loszuwerden. Der 52- Jährige liess den Monteur herein. Von diesem erfuhr er, was für ein Wunderkästchen der neue Stromzähler ist. Der intelligente Zähler, im Fachjargon «Smart Meter», kann allerlei Daten erheben: Die automatische Zählerablesung macht dabei nur den Anfang.

«Die clevere Art, Energiezähler abzulesen», schreiben die IWB denn auch auf einem Faktenblatt zu «Smart Metering». Denn dank dem Zauberkästchen lässt sich nicht nur der aktuelle Stromverbrauch aufzeigen, sondern auch detailliert auswerten. «Allein durch die bessere Kenntnis des tatsächlichen Verbrauchs sind etwa fünf Prozent an Energieeinsparung möglich, schwärmen die IWB.

Stromversorger könnten gar abfragen, welcher TV-Sender läuft.

Karger wurde stutzig und begann im Internet zu recherchieren. Schon bald erfuhr er, dass ein Stromlieferant dank «Smart Metering» anhand des Stromverbrauchs feststellen kann, wann jemand ausser Hause ist. Er kann säumigen Kunden den Strom aus der Ferne abstellen, und technisch wäre es für den Stromlieferanten sogar möglich herauszufinden, welcher TV-Sender gerade über die Mattscheibe des Stromkunden läuft. Denn je heller das Bild, desto mehr Strom verbraucht ein Fernsehgerät. Die Abfolge von hellen und dunklen Sequenzen ergeben ein senderspezifisches Profil.

Segen des Datenschützers

Die IWB beschwichtigen: Die neuen intelligenten Stromzähler könnten zwar tatsächlich weit mehr als die alten, doch eingesetzt würden sie zurzeit einzig, um den Stromverbrauch abzulesen. Weitere Daten würden nicht erhoben. Dazu fehle auch die gesetzliche Grundlage.

Doch eingebaut hat der Stromversorger die Geräte mit der Absicht, den Stromverbrauch dereinst so detailliert zu erfassen, dass Rückschlüsse auf Lebensverhältnisse und Gewohnheiten möglich sind. Das zeigt eine Nachfrage beim Basler Datenschutzbeauftragten Beat Rudin. Ihn haben die IWB vorgängig konsultiert, mit der Frage: Ist es den IWB erlaubt, Nutzerdaten zu erfassen, wenn diese verschlüsselt übertragen und Daten von Einzelhaushalten zu Gruppen von mehreren Dutzend zusammengefasst werden, damit keine Rückschlüsse auf einzelne Kundinnen und Kunden möglich sind? Die Antwort: Für die Erhebung von Daten, die für die Abrechnung nicht nötig sind, braucht es eine gesetzliche Grundlage.

Kunden haben keine Wahl

Ein weiterer IWB-Kunde, der sich über den neuen Stromzähler ärgert, ist Dominik Keller. «Die IWB nutzten die Gunst der Stunde. Sie informierten umfassend über die unzuverlässigen alten Stromzähler und lenkten damit davon ab, welch heikle neue Geräte sie einbauen.» Es bräuchte einen Vertrag mit klaren Regeln und Pflichten, wofür die IWB Daten nutzen dürfen. Und es brauche eine politische Diskussion, findet Keller.

Doch die IWB können selbst bestimmen, mit welchem Modell sie gegenwärtig 35 000 Stromzähler ersetzen lassen. Und als selbstständige Institution können sie später auch Bestimmungen erlassen, um Daten von ihren Kunden zu erfassen. Bevölkerung oder Parlament müssen sie dazu nicht erst fragen. Und dies ärgert den IWB-Kunden Philip Karger am meisten: «Ich will doch nicht ausspioniert werden.» Zwar geben Konsumentinnen und Konsumenten oft Daten freiwillig Preis, etwa mit Cumulus- oder Supercard bei Grossverteilern. Doch während beim Einkaufen jeder frei entscheiden kann, hat man beim Strom keine Wahl: Als Privatkunde ist es weder möglich, den Anbieter zu wechseln, noch zu bestimmen, welche Daten der Stromversorger erheben darf.

Philip Karger hat es trotzdem versucht: Daraufhin hätten zwei IWB-Vertreter im persönlichen Gespräch versucht, ihn davon zu überzeugen, auf die IWB zu vertrauen. Doch als er die beiden bat, auf einer von ihm entworfenen Regelung zu unterschreiben, dass die Sicherheit seiner Daten gewährleistet sei und die IWB seine Daten weder auswerten noch weitergeben werden, ging es plötzlich schnell: Die IWB bauten ihm wieder einen alten Stromzähler ein.

Smart Metering

Smart Metering ist der in der Versorgungsbranche übliche Ausdruck für Übertragungsvorgänge und die damit verbundenen Prozesse und Systemlösungen des Einsatzes Intelligenter Zähler, die über die reine Energieverbrauchsmessung hinaus mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet sind. Smarte Messgeräte können verbrauchte Mengen sowie die Verbrauchszeiträume messen, speichern und diese Daten an Kunden oder Dritte kommunizieren. Neben dem Smart Metering sollen auch das sogenannte Smart Grid sowie der smarte Kunde den Wandel in der Energieversorgung kennzeichnen bzw. vorantreiben.

Das Profil des Stromverbrauchs gestattet je nach Schaltvorgängen, Stromstärken oder Frequenzmustern eine Analyse des Verbrauchers. So ist erkennbar wann Personen im Hause anwesend sind (Einbruchgefahr, behördliche Ermittlungen), wie viele Personen zum Haushalt gehören (Steuern, Miete), welche zeitlichen Gewohnheiten der Verbraucher hat (Werbung) usw. Da Daten digitalisiert selbst noch nach Jahrzehnten zur Verfügung stehen, können rückwirkend unerwartete Problematiken für den Verbraucher entstehen. Australische Verbraucher und Verbraucherorganisationen kritisieren, dass mit Einführung des Smart Metering die Stromkosten massiv steigen. Insbesondere ärmere, ältere Personen und Familien sind benachteiligt, da sie den Tagesverlauf komplett umstellen müssen um den Strombezug in den Zeiten niedriger Strompreise – z. B. der Wasch- und Geschirrspülmaschine – zu verlegen. Der Strompreis am Tag ist dann z. B. viermal so hoch wie in der Nacht. Die Umstellung des Tagesablaufs und damit des Strombezugs ist bei Jüngeren und Kinderlosen wesentlich leichter und somit ist das System eine neue Form der sozialen Ungerechtigkeit gegenüber Familien und Älteren.

Laut Publikation der österreichischen Konsumentenorganisation können durch die Einführung des Systems maximal 23 Euro pro Haushalt laut Angabe des Regulators eingespart werden, wobei die Schätzungen der Energieversorger nur 12 Euro angeben; demgegenüber stehen Kosten für das Smart-Meter-System in Höhe von 200 bis 300 Euro.

 

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